Azubi-Mangel im Handwerk
Wie Diskriminierung und alte Denkweisen junge Talente vertreiben
Warum bleiben tausende Ausbildungsplätze im Handwerk unbesetzt?
Der Nachwuchsmangel im Handwerk ist kein neues Phänomen, doch die aktuelle Lage ist besonders besorgniserregend: Laut ZDH (Zentralverband des Deutschen Handwerks) konnten im Ausbildungsjahr 2024/25 über 30.000 Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Während Betriebe über fehlende Bewerbungen klagen, zeigt sich bei genauer Betrachtung ein differenzierteres Bild. Nicht nur der demografische Wandel oder einseitige Bildungsorientierung spielen eine Rolle – auch betriebsinterne Diskriminierung und veraltete Strukturen wirken abschreckend. Das Handwerk steht somit vor einer doppelten Herausforderung: Nachwuchs finden – und gleichzeitig einen Zugang schaffen, der diskriminierungsfrei, modern und motivierend ist.
Wie behindert Diskriminierung den Zugang für Frauen ins Handwerk?
Gibt es strukturelle Hürden für weibliche Auszubildende?
Ja. Frauen im Handwerk sehen sich häufig mit Barrieren konfrontiert, die weit über individuelle Einzelfälle hinausgehen. Mehrere Studien, darunter die vom DGB unterstützte Ausbildungsreport-Reihe, dokumentieren geschlechterspezifische Benachteiligungen. Besonders häufig genannt werden:

- Fehlende Sanitäranlagen oder Umkleiden für Frauen
- Vorurteile über körperliche Belastbarkeit oder technische Fähigkeiten
- Unfaire Auswahlkriterien bei Bewerbungsgesprächen
Diese Punkte zeigen, dass Betriebe noch immer mit strukturellen Defiziten kämpfen, die weibliche Bewerberinnen systematisch ausschließen – oft nicht bewusst diskriminierend, aber mit realer Wirkung. Ein Beispiel: Laut einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) geben 23 % der jungen Frauen in handwerklichen Berufen an, sich im Betrieb nicht ernst genommen zu fühlen. Die Folge ist eine hohe Abbruchquote – und ein Verlust dringend benötigter Fachkräfte.
Welche Rolle spielen alte Rollenbilder und intolerante Haltungen?
Warum empfinden junge Menschen das Handwerk oft als unattraktiv?
Neben geschlechterspezifischer Diskriminierung berichten viele Auszubildende über ein Betriebsklima, das von Hierarchie, autoritärem Führungsstil oder fehlender Offenheit geprägt ist. Drei häufige Problemmuster:
- Ablehnung neuer Ideen durch ältere Mitarbeitende
- Respektloser Umgang mit jungen Auszubildenden
- Verbreitung intoleranter oder abwertender Kommentare
Diese Beobachtungen stehen im Widerspruch zu aktuellen Anforderungen junger Generationen. Studien wie der Ausbildungsmonitor der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen, dass Werte wie Mitbestimmung, Anerkennung und kollegiale Kommunikation für Jugendliche entscheidend sind. Wo diese fehlen, entscheiden sich potenzielle Bewerber zunehmend gegen das Handwerk – und für alternative Karrierewege, z. B. im digitalen Dienstleistungssektor.
Reicht betriebliche Veränderung aus – oder braucht es auch politische Unterstützung?
Welche Verantwortung trägt die Bildungspolitik?
Ein zentrales Problem liegt im gesellschaftlichen und schulischen Framing von beruflicher Bildung. Laut dem Deutschen Schulportal bewerten Lehrkräfte das Studium nach wie vor höher als eine Ausbildung – was sich in der Beratung und Berufsorientierung widerspiegelt. Der DGB fordert daher seit Jahren:
- Ausbau praxisnaher Berufsorientierung ab Klasse 7
- Förderung gendersensibler Berufsberatung
- Stärkung öffentlicher Kampagnen zur Wertschätzung des Handwerks
Zusätzlich braucht es rechtliche Rahmenbedingungen gegen Diskriminierung auf Betriebsebene, etwa in Form erweiterter Nachweispflichten oder verpflichtender Gleichstellungsmaßnahmen in Betrieben mit mehr als 15 Mitarbeitenden. Förderinstrumente wie das „Förderprogramm Frau und Beruf“ müssen stärker auf das Handwerk zugeschnitten werden.
Gibt es bereits positive Entwicklungen in der Branche?
Welche Handwerksbetriebe setzen auf Diversität und moderne Strukturen?
Zahlreiche kleine und mittlere Handwerksbetriebe haben den Handlungsbedarf erkannt und setzen auf Reformen:
- Betriebe wie die Schreinerei Trübel in Hessen bieten geschlechtergerechte Ausbildungsplätze an, inklusive Mentoring durch erfahrene Handwerkerinnen.
- Die Initiative #girlsdayeveryday wird von Dachdeckerbetrieben unterstützt, die gezielt Mädchenpraktika fördern.
- Auf Plattformen wie TikTok oder YouTube machen Azubis mit Millionenreichweite das Handwerk wieder sichtbar – etwa die Influencerin @handwerk.hanna mit über 200.000 Followern.
Diese Ansätze machen deutlich: Es gibt Wege, das Image des Handwerks positiv zu verändern. Entscheidend ist, dass solche Beispiele nicht isoliert bleiben, sondern durch Netzwerke, Kammern und Landesprogramme systematisch gefördert und skaliert werden.
Fazit: Wie lässt sich der Azubi-Mangel nachhaltig beheben?
Was braucht das Handwerk, um zukunftsfähig zu bleiben?
Um dem Fachkräftemangel im Handwerk wirksam zu begegnen, reicht es nicht aus, nur mehr Bewerber zu gewinnen. Entscheidend ist, die Zugangshürden für marginalisierte Gruppen abzubauen, ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen und junge Talente ernst zu nehmen. Das gelingt nur, wenn:
- Betriebe Diversität als Zukunftsfaktor verstehen
- Schulen berufliche Bildung gleichwertig vermitteln
- Politik und Handwerkskammern rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen anpassen
Das Handwerk kann ein attraktiver, sicherer und erfüllender Berufszweig sein – für alle. Voraussetzung ist, dass es die Realität junger Menschen ernst nimmt und sich strukturell öffnet.
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